Auf Grimms Spuren…

Mythen, Märchen, Fantastisches


Trinken Elfen Blut?

Zur düsteren Geschichte einer süßen Sagengestalt

Egal, ob kleine, freche Tinker-Bell aus „Peter Pan“ oder elegante Elbe aus „Herr der Ringe“: Elfen begegnen uns in der Popkultur in ganz unterschiedlichen Gewändern. Düster oder gar blutrünstig sind sie jedoch selten. Die Überschrift kann daher nur Fragen aufwerfen: Warum sollten Elfen Blut trinken? Was sollten sie gemein haben mit düsteren, vampirischen Gestalten aus Horrorfilmen? 

Bei einer genauen Betrachtung erscheint dies vielleicht weniger abwegig: Sie treten nicht nur als kleine helfende Figuren auf, sondern stehen auch nicht selten in Verbindung mit zerstörerischen Naturgewalten, tiefen Wäldern, dunklen Tälern – und das nicht nur in modernen Fantasy-Filmen, sondern auch in Märchen, in denen sie nicht selten zu tricksterhaften Geistern werden, die Milch sauer werden lassen oder Kinder stehlen. Zwischen diesen Gestalten tummeln sich schließlich auch Todesboten wie die berühmte irische Banshee oder Blutsauger wie die schottische Baobhan-Sith. Wie können diese Gestalten in der gleichen Weise „Feen“ oder „Elfen“ sein wie die grazile, wenn auch mächtige Galadriel oder die süße Tinker-Bell?

Die Frage danach, was eine Elfe oder eine Fee ist, erscheint kompliziert. Bereits der Unterschied zwischen beiden Worten ist unklar, wenn sie auch nicht völlig gleichbedeutend sind: Während das Wort „Elf(-e)“ germanischen Ursprungs ist und sich meist auf übernatürliche Wesen der altnordischen Erzählungen (meist: álfar) bezieht, leitet sich das Wort „Fee“ aus dem Französischen (Fée) ab und geht wahrscheinlich auf das Wort Fata („Schicksalsgöttin“) zurück. Es wird besonders ab dem 18. Jahrhundert für Wesen des keltischen und romanischen Kulturraumes verwendet. Beide Begriffe verschmelzen jedoch besonders im Märchen oft miteinander und dienen als „Dachbegriff“ für eine ganze Reihe verschiedener übernatürlicher Wesen. Düstere Auslegungen finden sich dabei neben Traditionen der Fee als mütterlicher Geist oder als Ratgeberin, wie wir sie besonders in der französischen Literatur des Mittelalters finden. Als Wesen des Schicksals ist die Fee stets ambivalent: Das Schicksal kann genauso gut- wie bösartig erscheinen.

Anders als die Liederedda unterscheidet der isländische Historiker Snorri Sturluson in seiner Prosa-Edda (13. Jahrhundert) zwischen den Lichtelben (Ijósálfar) und den Schwarzelben (døkk- oder svartálfar), von denen es heißt, die Lichtelben seien heller als das Licht und die Schwarzelben schwärzer als Pech. Diese Unterteilung scheint nicht besonders alt zu sein, sondern sich erst in der nordischen Literatur seit Snorri zu finden. Auch geht sie noch nicht mit einer moralischen Wertung einher: Die Schwarzelben sind nicht zwingend böse, sondern leben zunächst nur unterirdisch und der Verdacht, sie seien mit den Zwergen gleichzusetzen, schleicht sich schnelle ein.

Trotzdem wurde der Begriff „Schwarzelben“ noch im 19. Jahrhundert gebraucht, um deutlich bösere Gestalten des Volksglaubens zu beschreiben: Paul Herrmann setzt in seinem Werk „Deutsche Mythologie“ (1898) Elfen, besonders Schwarzelfen, mit Wichten gleich, von denen er glaubt, sie seien unholde Geister des Volksglauben, die den Menschen schaden wollen:

Wie der altsächische Dichter an Stelle der überlieferten Kuppelei das seinen Sachsen verständlichen Verbrechen des Mordes setzt, so stellt er als die Verführer zu diesen Freveln die elbischen Geister hin, die im Dunkel der Nacht Unheil säen und Böses stiften.

Herrmann, S. 119

Schon vor Herrmann verbindet der berühmte Märchensammler Jakob Grimm in seiner berühmteren „Deutschen Mythologie“ (1835) das Wort „Elf“ mit dem Wort „alp“ und geht der nordischen Unterscheidung weiter nach: Obwohl er durchaus Mischformen vermutet, stellt er in Bezug auf Licht- und Dunklelben zunächst fest:

Man findet in dem gegensatz der lichten und schwarzen elben den dualismus, der auch in andern mythologien zwischen guten und bösen, freundlichen und feindlichen, himlischen und höllischen geistern, zwischen engeln des lichts und der finsternis aufgestellt wird.

Grimm, S. 348

Er geht weiter darauf ein, dass im Volksglauben die Vorstellung verbreitet sei, dass die Elfen den Menschen dann Schaden zufügen würden, wenn diese sie weder beachten, noch verehren – ähnlich wie es bei Geschichten um Götter bekannt ist. Tatsächlich lässt sich Grimms Vorstellung, wenn sie auch auf wackeligen Beinen steht, mit anderen Quellen zumindest in Teilen bestätigen: Die weitgehend wohlwollende Natur der altnordischen Elfen ist bei ihren altenglischen und deutschen Cousins nicht unbedingt nachweisbar. So heißt es beispielsweise im Beowulf (8. Jahrhundert, altenglisch):

Ihm [dem biblischen Kain] sind die Unholde alle entstammt, / Eoten und Elfen und der Orken Scharen, / Die Giganten zugleich, die Gott widerstrebten / Jahrhunderte lang; doch lohnt‘ er es ihnen.

Beowulf, ab V. 110

Auch in angelsächsischen Medizinschriften finden sich Elfen als Urheber von Krankheiten oder als böse Geister, die in Körper einfahren können. Im Bald’s Leechbook („Balds Arzneibuch“, 10. Jahrhundert, England) wird von der sogenannten Ælfsogoþa gesprochen, der Elfenkrankheit, die Tiere und Menschen befällt und sich besonders auf den Kopf und die Psyche auswirkt. Diese Vorstellung der Elfe als Krankheitsbringer ist noch weit in die Neuzeit zu finden, nicht zuletzt in Goethes „Erlkönig“ (1782), wahrscheinlich ein sprachliches Missverständnis (aus dem schwedischen „Elverkonge“, „Elfenkönig“, wird der „Erlenkönig“). Dies lässt sich passend an irische Feenwesen anknüpfen, deren Ursprung als Schicksalsgottheiten sich in Todesboten wie der erwähnten Banshee oder dem Dullahan offenbart – wenn diese auch nicht zwingend übelwollend sind.

Wie Grimm ebenfalls schreibt, ist die Vorstellung, dass Elfen mit Hexen oder dem Teufel in Verbindung stehen, ebenfalls im Volksglauben verbreitet – besonders in England und Deutschland, wo der christliche Glaube deutlich früher verbreitet wurde als in Skandinavien. Tatsächlich lässt sich eine ähnliche Tendenz für das ganze Mittelalter nachweisen: als der Versuch, vorchristlichen Glauben dadurch zu bekämpfen, dass „heidnische“ Gottheiten oder Wesen der niedrigen Mythologie zu Dämonen wurde. Die mittelalterlichen Theologen, die dabei besonders die Feen im Fokus hatten, waren nicht darum bemüht, sensibel mit kulturellen Unterschiedenen umzugehen: Germanische, keltische sowie antike Vorstellungen werden zu dem Bild einer „Heidenkultur“ vereint, die es zu bekämpfen gilt. Martin von Braga verbindet so den Engelssturz mit den römischen Gottheiten und bezeichnet Elfen als reale, dämonische, widergöttliche Geisterwesen. Auch Buchard von Worms schreibt in seiner „Decreta“ (1008), manche Leute würden an wilde Frauen glauben, die sie Phyluaticen oder Elfen nennen und die sie zum Bösen, besonders im sexuellen Sinne verführen. Auch im 12. und 13. Jahrhundert begegnet uns die Fee in diesem Kontext noch: Ähnlich wie bei Werwölfen ist die Vorstellung verbreitet, Feen seien in erster Linie Produkte der Einbildung. Gervasius von Tilburg (1150–1235) setzt sie so mit Lamien und Stries gleich und schimpft sie nächtliche Einbildungen in Folge unausgeglichener Säfte. Und hier nähert sich die Elfe doch tatsächlich dem Vampir an: Die Lamie ist nicht nur einfach ein beliebiger nächtlicher Geist, sondern ein weibliches Wesen der griechischen Mythologie, das Herzen verzehrt, Siechtum und Tod bringt sowie tatsächlich manchmal Blut trinkt. Gervasius ist dabei nicht der einzige, der diese Sagengestalt auf Wesen der einheimischen Mythologie bezieht: Ähnliches finden wir erneut bei Martin von Braga oder Wilhelm von Auvergne.

Begleitet werden diese Vorstellungen aus der christlichen Theologie von der ambivalenten Beziehung keltischen, besonders irischen, Mythologie und Literatur zu den Feen: Hier schwanken sie zwischen hilfreichen oder erhabenen Geschöpfen und tricksterhaften Geister, die in der Neuzeit, beispielsweise bei Robert Kirch (1682) oder Jane Wilde (1887), erneut mit gefallenen oder neutralen Engeln in Verbindung gebracht werden. Folkloristen des 19. Jahrhunderts sammelten Geschichten von blutsaugenden, zum Teil untoten Elfen und Gespensterns aus ganz Europa, so auch von den britischen Inseln: Der Schriftsteller Mantague Summers berichtet Ende des 19. Jahrhunderts von Gestalten, die im irischen Waterford Männer anlocken und in den Tod führen. Dieses Motiv zeigt sich auch in der Gestalt der schottischen Baobhan-Sith, eine weibliche, vampirische Elfengestalt, die Männer in die Wälder lockt und ihr Blut vollkommen aussaugt. Katherine Mary Briggs erzählt diese Geschichte in ihrem „Dictionary of Fairies“ (1976) in Anlehnung an C.M. Robertson folgendermaßen:

Four young men were on a hunting trip and spent the night in an empty shieling, a hut built to give shelter for the sheep in the grazing season. They began to dance, one supplying mouth-music. One of the dancers wished that they had partners. Almost at once four women came in. Three danced, the fourth stood by the music-maker. But as he hummed he saw drops of blood falling from the dancers and he fled out of the shieling, pursued by his demon partner. He took refuge among the horses and she could not get him, probably because of the IRON with they were shod. But she circled rount him all night, and only disappeared when the sun rose. He went back into the shieling and foung the bloodless bodies of the dancers lying there. Their partners had sucked them dry.

Briggs, S. 16

P. W. Joyce schreibt in seiner „Origin and History of irish names of places“ (1870) von den Zwerg Abhartach, ebenfalls eine elfenhafte Gestalt, die zwar kein Blut trinkt, aber nach ihrem Tod – ebenfalls erstaunlich vampirisch! – aufersteht:

There is a place in the parish of Errigal in Londonderry, called Slaghtaverty, but it ought to have been called Lagtacerty, the laght or sepulchral monument of the abhartach [avartagh] or dwarf […]. This dwarf was a magician, and a dreadful tyrant, and after having perpetrated great cruelties on the people he was at last vaniquished and slain by a neighbouring chieftain; some say by Finn Mac Cumhail. He was buried in a standing posture, but the very next day he appeared in his old haunts, more cruel and vigorous than ever. And the chief slew him a second time, and buried him as before, but again he escaped from the grave, and spread terror through the whole country. The chief then consulted a druid, and according to his directions, he slew the dwarf a third time, and buried him in the same place, with his head downwards; which subdued his magical power, so that he never again appeared on the earth. The laght raised over the dwarf is still there, and you may hear the legend with much detail, from the natives of the place, one of whom told it to me.

Joyce, S. 319f.

Das ist insofern interessant, als dass James MacKillop in seinem Wörterbuch für keltische Mythologie, Abartach als eine Figur des Finn-Zyklus beschreibt (vgl. MacKillop, Abartach), ein Prinz der Tír Tairngiri. Inwiefern hier also eine ursprünglich mythologische Figur im Volksglauben zu einem Dämon wurde oder inwiefern Joyce hier etwas missverstanden hat, bleibt offen.

Also: Trinken Elfen jetzt Blut?

Die Frage kann wohl nur mit der Gegenfrage beantwortete werden: Welche Elfe zu welchem Zeitpunkt und in welchem Kontext? Die breite Auswahl an Traditionen rund um Elfen und Feen kennt durchaus eine düstere Seite, in denen diese Wesen mit blutsaugenden Dämonen und Gespenster gleichgesetzt werden – das ist aber lange nicht alles, was diese Wesen zu bieten haben. Wie bei vielen Fragen rund um das Wunderbare gilt auch hier: Das ist alles eine Frage von Kontext und Definition.

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Verwendete und weiterführende Literatur

Alvey, R. Gerald: Elf, Elfen. In: Brednich, Rolf Wilhelm [u.a.] (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 2. Berlin, Bosten 2016. (Online). Letzter Zugriff: 22.09.2023.

Anonym: Beowulf. Das angelsächsische Heldenlied. Herausgegeben und übersetzt von Martin Lehnert. Stuttgart 2004.

Herrmann, Paul: Deutsche Mythologie. Neu herausgegeben von Thomas Jung. Köln 2013.

Briggs, Katherine Mary: A Dictonary of Fairies: Hobgiblins, Brownies, Bogies, and other supernatural creatures. New York 1976.

Grimm, Jakob: Deutsche Mythologie. 4. revidierte Ausgabe. Wiesbaden 2003.

Joyce, Patrick Weston: The origin and history of irish names of places. Dublin 1870.

MacKillop, James: A Dictionary of Celtic Mythology. Oxford 2004. (Online). Letzter Zugriff: 24.09.2023.

Lecouteuc, Claude: Lamia. In: Brednich, Rolf Wilhelm [u.a.] (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 2. Berlin, Bosten 2016. (Online). Letzter Zugriff: 22.09.2023.

Wolfzettel, Friedrich: Fee, Feenland. In: Brednich, Rolf Wilhelm [u.a.] (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 2. Berlin, Bosten 2016. (Online). Letzter Zugriff: 22.09.2023.

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