Dieser Artikel ist Teil einer Reihe. Den ersten Teil findest du hier.
Von Medvegia bis Wien: Die Vampirpanik um 1700 und die literarischen Anfänge
Das 18. Jahrhundert ist angebrochen und im Osten der Habsburger Monarchie, im kulturellen Schmelztiegel Balkan, scheint sich Angst zu verbreiten. Zurecht, glaubt man den Zeitzeugen:
„[D]ieser [Arnold Paole] hatte bey seiner Lebens-Zeit sich öffters verlauten lassen, daß er bei Gossowa in dem Türckischen Servien von einem Vampir geplagt worden sey, und sich mit dessen Blut geschmieret habe, um von der erlittenen Plage entledigt zu werden. In 20 oder 30 Tagen nach seinem Tod-Fall haben sich einige Leute beklaget, daß sie von dem gedachten Arnold Paole geplaget würden; wie denn auch würcklich 4 Personen von ihm umgebracht worden. Um nun dieses Übel einzustellen, haben sie auch Einrathen ihres Hadnacks […] Arnold Paole in beyläuffig 40 Tage nach seinem Tod ausgegraben, und gefunden, daß er gantz vollkommen und unverwesen sey, auch ihm das frische Blut zu denen Augen, Nasen, Mund und Ohren herausgeflossen, das Hemd, Übertuch und Truhe ganzt blutig gewesen, die alte Nägel an Händen und Füssen samt der Haut abgefallen, und dargegen neue andere gewachsen sind, weilen sie nun daraus ersehen, daß er ein würcklicher Vampir sey, so haben sie demselben nach ihrer Gewohnheit einen Pfahl durch Herzt geschlagen, wobey er einen wohlvernehmlichen Gächzer gethan, und ein häuffiges Geblüt von sich gelassen; Wobey sie den Cörper gleich selbigen Tag gleich zu Asche verbrennet, und solche in das Grab geworffen.“
Visium et Repertum, S. 451f.
Die von Wien gesendeten Militärs und Forscher dokumentieren Fälle wie diese jedoch keineswegs aus rein wissenschaftlichem Interesse oder um der Landbevölkerung gegen die Vampire zur Hilfe zu kommen: Vielmehr fürchtet Österreich politische Unruhen oder Flucht. Kein Wunder also, dass besonders Mediziner schnell mit vermeintlich beruhigenden Erklärungen zur Hand sind und das Bluten nach dem Tod, das Ächzen der Leiche und alle anderen schauerlich-vampirischen Motive dieser graphischen Szene auf normale Verwesungsprozesse oder Einbildungskraft zurückführen.
„Daß ein solcher Körper, welcher durch keine Krankheit den Tod zu theil worden nach 40 Tagen Blut von sich gegeben, scheint mir nichts besonders, massen das Bluten derer Cörper als eine gantz benante Sache von denen Physicis und Medicis wiewohl mit Unterscheid Erwehnung geschieht.“
Putoneus, S. 462
Doch der Versuch, sich gegen den Aberglauben aus dem Osten abzugrenzen, scheitert: Der moderne Vampir, inklusive des Blutsaugens und der tödlichen Pfähle ins Herz, ist geboren und tritt seinen Siegeszug in den Westen an. Obwohl es schon zuvor, beispielsweise aus Schlesien, Polen und Ungarn, Berichte von ähnlichen Vorfällen gab, ist die „Vampirpanik“ um 1700 die Geburtsstunde für den prominenten Status, den die Blutsauger heute haben. Besonders zwei Vampirfälle sind dabei von besondere Bedeutung:
1725 schreibt der Kameralprovior Frombald über einen eigenartigen Vorfall im slawonischen Dorf Kisolova, in dem die Bewohner einen vermeintlichen Wiedergänger, Peter Plogojowiz, pfählten. Der öffentliche Bericht verbreitet sich von Wien aus rasend schnell im deutschsprachigen Raum und wird an der Universität von Leipzig von Michael Ranft aufgenommen, der daraufhin seine Disputationsschrift „De masticatione mortuorum in tumulis liber singularis, continens duas dissertationes, quarum prior historico critica, posterior vero philosophica est“ (1728) veröffentlicht. Der Trubel scheint jedoch ein schnell zu erlöschendes Laubfeuer zu sein… bis es zum zweiten Vorfall kommt.
1732 löst der Fall des Arnold Paole (siehe auch Zitat oben) erneut eine Welle an Vampirbegeisterung aus. In Reaktion auf Johann Flückingers „Bericht ueber die Vampirs zu Medvegia in Servien“ im Januar 1732, in der Paoles Fall erzählt wird, erscheint im März des selben Jahres auch in „The genleman’s magazine“ der erste englische Beleg für das Wort „vampire“. In Deutschland kommt es schnell zu Kontroversen: In der sogenannten „Leipziger Vampirdebatte“ (1725–1734) streiten sich Gelehrte verschiedener Disziplinen, mal mehr und mal weniger wissenschaftlich, um die (Un-)möglichkeit des Vampirs. Abgeschlossen wird die Debatte mit Michael Ranft Um- und Weiterfassung seiner vorherigen Schrift: Tractat von dem Kauen und Schmatzen der Todten in den Gräbern / Worin die wahre Beschaffenheit derer Hungarischen Vampyrs und Blut-Sauger gezeigt, und alle von dieser Materie bißher zum Vorschein gekommene Schrifften recensiret werden (1734). Ihm folgen kaum mehr wissenschaftliche Beschäftigungen mit dem Thema.
Doch tot ist der Vampir damit nicht, er wartet nur auf seine weitere Auferstehung: in der Literatur.
Lange muss er nicht warten: 1748 taucht er in dem Gedicht Mein liebes Mädgchen glaubet Heinrich August Ossenfelders auf:
„Nun warte mein Christianchen, / Du willst mich gar nicht lieben, / Ich will mich an dir rächen, / und heute in Tockayer / Zu einen Vampir trinken. / Und wenn du sanfte schlummerst, / Von deinen schönen Wangen / Den frischen Purpur saugen. / Alsdenn wirst du erschrecken / Wenn ich dich werde küssen / Und als ein Vampir küssen.“
Ossenfelder, S. 14
Der Vampir, der nun die Bühne der Literatur betritt, ähnelt seinem heute noch durch so manchen Roman spukenden Enkel bereits sehr, unterscheidet sich jedoch von seinem slawischen Vorgänger: Wie aus den Dokumenten hervorgeht, glaubte man auf dem Balkan (ins. Russland und Rumänien), die Seele verlasse den Körper erst nach 40 Tagen endgültig. Um zu verhindern, dass die Toten in dieser Zeit wiederkehren, werden sie unter anderen mit den Füßen zuerst aus dem Fenster aus dem Haus getragen, in der Hoffnung sie würden den Weg zurück nicht finden. Die Vampire des Balkans sind zudem noch nicht unsterblich, sondern wandeln nur für eine begrenzte Zeit wieder unter den Lebenden.
Die Literatur codiert den Vampir um, auch, indem sie das Motiv der untoten Bräutigams (wieder-)aufnimmt. Der Wandel des Vampirs ist jedoch noch nicht abgeschlossen: Schnell wird aus dem Bräutigam eine Braut, der Vampir, besonders in Deutschland, wird im 18. Jahrhundert weiblich. Die bekannteste und einflussreichste dieser Vampirin ist sicherlich Goethes Braut von Korinth (1797).
„Aus dem Grabe wird ich ausgetrieben, / Noch zu suchen das vermißte Gut, / Noch den schon verlornen Mann zu lieben / Und zu saugen seines Herzens Blut. / Ists um den geschehn, / Muß nach andern gehen, /Und das junge Volk erliegt der Wut.“
Goethe, S. 20
Der Vampir, der keine menschliche Speise zu sich nimmt, die Tochter, die sich an der Mutter rächt und besonders die Geliebte aus dem Grab – all dies begegnet uns auch bei dem berühmten Meister des Schauers E.T.A. Hoffmann wieder, der den Vampir in eine Zwischenposition drängt, indem er die Übernatürlichkeit des Phänomens in Frage stellt. Doch da Hoffmann nicht nur einfach den Vampirdiskurs des 19. Jahrhunderts aufnimmt, sondern neben Goethes Braut von Korinth auch weitere Meilensteine der Vampirrezeption kennt und verarbeitet, soll er uns im nächsten Artikel ausführlich begegnen.
Ziehen wir zuerst ein weiteres kleines Fazit:
Der literarische Vampir unterscheidet sich von seinen „realen“ Vorgänger besonders durch die mit ihm verbundenen Symbolik. Bis heute lassen sich zwei Kernmotive des Vampirischen erkennen, die keineswegs alleine mit der Wiederauferstehung und dem Bluttrinken zu tun haben, sondern vielmehr mit der grundsätzlichen Angst, die er Vampir als Figur vom Horror- und Schauerspaß symbolisiert:
- Der Vampir als Fremder: Der Vampir ist immer das andere (für den Westen besonders der fremde Osten) und hat damit enormes Bedrohungspotenzial als das Fremde, was nicht eingeschätzt werden kann. Dies kann mit Invasionsnarrativen verbunden werden (wie wir im 19. Jahrhundert noch deutlicher sehen werden), spiegelt aber auch die Angst des Menschen vor der (Un-)gewissheit des Todes.
- Der Vampir ist eine Figur des Dazwischen (Tod und Leben; Mensch und Tier; Osten und Westen): Dieser Punkt wird sich als Kern des Vampirischen durch seine ganze weitere Geschichte ziehen. Als eigentlich unmögliche Figur des Dritten liegen im Vampir Bedrohungspotenziale für bestehende Weltbilder.
- Der Vampir betont die Nachtseite des Menschlichen
Wie sich all dies weiter wandelt und schließlich zum berühmtesten Vampir der Welt führt, soll im folgenden Artikel gezeigt werden, wenn wir uns in einem dunklen Sommer in einem alten Landhaus zusammen finden…
Zum nächsten Teil geht es hier.
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Verwendete und weiterführende Literatur
Bohn, Thomas M. / Hagen, Kirsten von: Der Vampir als europäischer Mythos – einleitende Überlegungen. In: Bohn, Thomas M. / Hagen, Kirsten von (Hrsg): Mythos Vampir – Bissige Lektüren. Bonn 2018 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur Bd. 201), S. 5–8.
Goethe von, Johann Wolfgang: Die Braut von Korinth. In: Sturm, Dieter / Völker, Klaus (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern. Augsburg 1997, S. 15–20.
Hepp, Oliver: Der bekannte Fremde. Der Vampir in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 2016 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 36).
Ossenfelder, Heinrich August: Mein liebes Mägdchen glaubet. In: Sturm, Dieter / Völker, Klaus (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern. Augsburg 1997, S. 14.
Ranft, Michael: Tractat vom Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern (Auszüge). In: Sturm, Dieter / Völker, Klaus (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern. Augsburg 1997, S. 467–470.
Verschiedene Standpunkte zum Phänomen des Vampirismus. 2. Putoneus. In: Sturm, Dieter / Völker, Klaus (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern. Augsburg 1997, S. 462f.
Visium et Repertum. Über die so genannten Vampirs, oder Blut- Aussauger, so zu Medvegiaa in Servien, an der Türckischen Granitz, den 7. Januarii 1732 geschehen. Nürnberg 1732. In: Sturm, Dieter / Völker, Klaus (Hrsg.): Von denen Vampiren oder Menschensaugern. Augsburg 1997, S. 451–456.

Eine Antwort zu “Die Erfindung des Vampirs II”
[…] sind und erst mit und mit Teil der Popkultur geworden sind (wie es dazu gekommen ist, liest du hier), hat der Graf, trotz seiner Abneigung zu Kreuzen, Knoblauch und Holzplöcken, wenig gemein. Den […]
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