Auf Grimms Spuren…

Mythen, Märchen, Fantastisches


Die Erfindung des Vampirs I

Denn mit jeder Träne, die zur Erde dir fällt, mein Sarg mit rotem Blute sich füllt.

Die Macht der Trauer, S. 104

Sie kommen in der Nacht und saugen das Blut aus den Hälsen junger Mädchen, sie verwandeln sich in Fledermäuse, um uns in der Dunkelheit aufzulauern… oder sie funkeln fröhlich und friedlich in der Sonne: Kaum eine Gestalt aus den Mythen und Sagen hat einen so großen Platz in der Popkultur wie der Vampir. Aber woher kommt die Sagengestalt? Und wie hat sie es in das Heim unserer modernen Gesellschaft geschafft – ganze ohne eingeladen zu werden?

In drei Einträgen versuchen wir herauszufinden, woher der Vampire kommt und wohin er möglicherweise geht:

1. Von Griechenland bis Island:  Blutsauger und Untote vor dem 18. Jahrhundert

2. Von Meduegia bis Wien: Die Vampirpanik um 1700

3. Vom Genfer See bis Dublin: Der romantische Vampir zwischen dem blutsaugenden Monster und dem tragischen Helden

Hier findest du den Vampir (für Fun Facts Bild drücken und auf meiner Google-Maps-Seite stöbern):

Von Griechenland bis Island: Blutsauger und Untote vor dem 18. Jahrhundert

Blutsaugende Ungeheuer kennen wir schon seit der Antike und wir finden sie auf der ganzen Welt. Der griechische Sophist Flavius Philostratos berichtet bereits im zweiten Jahrhundert nach Christ ausführlich von der Begegnung mit einer Empuse, einem Schreckensgespenst, was sich von schönen jungen Leibern speiste. Die Angst davor, dass die Toten ihren Gräbern entkommen und sie Lebenden heimsuchen könnten, verbunden mit Jenseitsvorstellungen und Bestattungsrituale, ist mindestens so alt und verbreitet: Nicht nur bei Aischylos sucht Klytaimnestra ihren Sohn und Mörder zusammen mit den Furien heim, auch der Gilgamesh-Mythos kennt Geister, die der Unterwelt entsteigen. Unter allen wandelnden Toten, die immer in einem speziellen religiösen und kulturellen Kontext stehen, hat der Vampir trotzdem eine Sonderstellung, die sich nicht zuletzt auf seine Körperlichkeit zurückführen lässt: Der Vampir ist, zumindest in den meisten Darstellungen, ein stoffliches Wesen, kein Geist und möchte sich auch eine leibliche Substanz, nämlich das Blut seiner Opfer aneignen. Zwar finden wir immer wieder Vampire, die sich in Nebel und Schatten verwandeln können – wie beispielsweise Dracula – dies wird jedoch selten als ihre ursprüngliche Gestalt gedeutet. Interessant ist hier, dass es eben dieses körperliche Blut ist, was den Vampir auch wieder mit der Geisterwelt verbindet: So betrachtet können wir erste Spuren des Vampirs bei Homer finden. Um von dem toten Seher Teiresias zu erfahren, wie er zurück in seine Heimat Ithaka kommen kann, steigt der Held Odysseus im elften Gesang der Odyssee in die Unterwelt des Hades herab. Hier opfert er den Toten ein Schaf – und hier wird es vampirisch, denn der Tote, der von dem Blut trinkt, kehrt zumindest in Teilen in einen lebensähnlichen Zustand zurück:

Warum, Unseliger, hast du das Licht der Sonne verlassen, / Kamst hierher, die Toten zu schaun und den Ort der Trauer? / Aber weiche zurück und wende das Schwert von der Grube, / Daß ich vom Blute trinke und dir Untrügliches künde.

Odysee, elfter Gesang

Abseits der Literatur finden sich ebenfalls alte Spuren der Untoten: Schon aus dem Neolithikum sind Grabstätten bekannt, in denen die Toten mit dem Gesicht nach unten bestatten oder Moorleichen mit Pfählen an ihr feuchtes Grab gebunden wurden.

Auch aus dem Mittelalter sind solche Gräber bekannt, aus Skandinavien kennen wir sogar Runenschriften als Abwehr gegen die Untoten. Obwohl die mittelalterliche Literatur nur wenige (körperliche) Untote kennt, haben sich manche, wahrscheinlich aus germanischen Bräuchen, in die eddische Dichtung und besonders in die isländische Saga-Literatur geschlichen, in denen sie in ganz unterschiedlichen Varianten auftreten: Grettir besiegt beispielsweise in der Saga von Grettir dem Starken aus dem 14. Jahrhundert schon in seiner Jugend einen Wiedergänger, und in der Edda, im Zweiten Lied von Helgi dem Hundingtöter, begegnet der getötete Held seiner Witwe zu einer letzten Liebesnacht an seinem Grab. Das Motiv des speisenden und trinkenden Toten ist hier bereits angelegt:

Trefflichen Trank trinken wir noch, / ob Leben und Land verloren sind! / Keiner singe uns Klagelieder, /sieht er die Brust auch durchbohrt von Speer! / Nun ist die Maid mir, dem Toten, / die Herrschertochter, im Hügel gesellt

Edda, S. 198

Wiederkehrende Geliebte und die Verbindung eines Lebenden mit einem Toten offenbaren sich so als eng an die Tradition der Untoten gebunden, ein Motiv, was sich viel später im Vampir spiegeln wird, der in der zeitgenössischen Vorstellung, sogar in Erzählungen wie Twilight, immer an Liebe, aber besonders auch an körperliches Begehren gebunden scheint. Auch in der (Frühen) Neuzeit spielt so die wiederkehrende Braut oder der wiederkehrende Bräutigam eine große Rolle, nicht zuletzt in der Lyrik (vgl. einleitendes Zitat aus einem isländischen Gedicht des 19. Jahrhundert, wahrscheinlich basierend auf einer mittelalterlichen Vorgängerversion). Dies sei hier jedoch ausgeklammert, da es im nächsten Artikel, wenn wir den richtigen „Vampiren“ begegnen, noch einmal aufgegriffen wird.

Auch die Idee davon, dass sich Leben aus Blut speist und Lebenskraft symbolisch mit dem Blut gestohlen werden kann, ist keineswegs auf den Vampir der Neuzeit beschränkt: Nicht nur war und ist es in Darstellungen von Schlachten und Kriegen immer von Bedeutung, wer wessen Blut vergießt, sich somit an der körperlichen Einheit des anderen vergeht und Stärke beweist, auch das Trinken von Blut taucht selbst nach Homer immer wieder auf.  Im Nibelungenlied stachelt Hagen die Burgunden in Etzels brennender Halle, ein Moment des absoluten Zivilisationsverlustes, an, das Blut ihrer Feinde zu trinken, um sich zu erfrischen. Auch im späten Artusoman Daniel von dem Blühenden Tale wird von den bauchlosen Ungeheuern gesagt: „Wen es tötet, dem saugen sie das Blut aus, das sie eine kleine Weile in ihrem Maul behalten, um es dann wieder auszuspeien“ (Daniel 1923).

Während der Untote oft an Bestattung, Totenehre oder schlicht und ergreifend an die Angst vor der eigentlichen Sterblichkeit gebunden ist, ist das Motiv des Bluttrinkens, besonders im Mittelalter, in erster Linie invasiv, un-menschlich oder monströs und verbunden mit der Frage, wer Macht über wen ausüben kann. Gleichzeitig liegt im Trinken von Blut eine christliche Konnotation, wird die Eucharistie doch nicht zuletzt als Umwandlung des Weines in das Blut Christi, was die Gemeinschaft der Gläubigen verbindet, verstanden.

Desgleichen auch den Kelch, nach dem Abendmahl, und sprach: Das ist der Kelch, das Neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird.

LK, 22,20

In Heiligenlegenden ist das Baden im Blut (oder zumindest, wie in Hartmanns von Aue Der arme Heinrich, die Bereitschaft dazu) zudem mit dem Heilen von Krankheiten verbunden, dass Blut Leben spendet, scheint auch hier selbstverständlich.

Wir sehen: Der Untote und auch der Blutsauger sind keine neuen Phänomene, der Vampir ist nur eine Variante eines weit verbreiteten Mythos, dessen Netz sich, alleine auf Europa beschränkt, in die Unendlichkeit ausweiten lässt. Einem Strang dieses Netzes wollen wir in den nächsten Artikeln folgen und herausfinden, wie aus all diesen verschiedenen Vorstellungen der Vampir wurde, den wir heute kennen und lieben. Dazu führt es uns beim nächsten Mal in den Osten Europas – sowohl in den realen als auch in die Vorstellung, die der Westen von ihm hatte…  

Hier geht’s auf weitere Spurensuche

Verwendete und weiterführende Literatur

Bildhauer, Bettina: Medieval Blood. Cardiff 2006 (Religion and culture in the middle ages).

Bohn, Thomas M. / Hagen, Kirsten von: Der Vampir als europäischer Mythos – einleitende Überlegungen. In: Bohn, Thomas M. / Hagen, Kirsten von (Hrsg): Mythos Vampir – Bissige Lektüren. Bonn 2018 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur Bd. 201). S. 5–8.

Böldl, Klaus / Yngborn, Katarina (Hrsg.): Die Macht der Trauer. In: Ritter und Elfen, Liebe und Tod. Nordische Balladen des Mittelalters. München 2010. S. 103f.

Das Nibelungenlied. Mhd. / Nhd. Nach der Handschrift B, hg. von Ursula Schulze, ins Nhd. überse., u. kommentiert von Siegfried Grosse. Ditzingen 2018.

Die Bibel. Die Heilige Schrift des alten und neuen Bundes. Vollständige deutsche Ausgabe mit den Erläuterungen der Jerusalemer Bibel, hg. von Diego Arenhoevel [u.a.]. Freiburg in Breisgau 1965.

Hartmann von Aue: Der arme Heinrich. Mhd. / Nhd. Nach dem Text von Helmut de Boor, neu hg., neu ins Nhd. übers., mit Anmerkungen und einem Nachwort von Hermann Henne. 15. überarbeitete Auflage. Frankfurt am Main 2013.

Helgis Wiederkehr. In: Genzmer, Felix (Hrsg.): Die Edda. Die wesentlichen Gesänge der altnordischen Götter- und Heldendichtung. Düsseldorf / Köln 1964. S. 196–203.

Homer: Illias und Odysee. Übersetzt von Johann Heinrich Voss, bearbeitet von Hans Rupé und E.R. Weiß. Köln 2000.

Meyer, Matthias: Filling a Bath, Dropping into the Snow, Drunk through a Glass Straw. Transformations and Transfigurations of Blood in German Arthurian Romances. In: Bibliographical Bulletin of the International Arthurian Society 58 (2007). S. 399–424.

Möllendorf von, Peter: Antike Vampire? Eine kulturhistorische Bestandsaufnahme. In: Bohn, Thomas M. / Hagen, Kirsten von (Hrsg): Mythos Vampir – Bissige Lektüren. Bonn 2018 (Abhandlungen zur Sprache und Literatur Bd. 201). S. 9–30.

Stricker: Daniel von dem Blühenden Tal. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen, mit einer Einführung und Anmerkungen versehen von Helmut Birkham. Kettwig 1992. (Erzählungen des Mittelalters 5).

Teichert, Matthias: Nosferatus nordische Verwandtschaft. Die Erzählungen von vampirartigen Untoten in den Islängersagas und ihr gesamtgermanisch-europäischer Kontext. In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 141/1 (2012). S. 2–36.


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