Auf Grimms Spuren…

Mythen, Märchen, Fantastisches


König Artus und der Prophet im Wald

Neugierige Blicke auf „An dialog etre Arzur Roe d’an Bretounet ha Guynglaff“

Geschichten rund um König Artus und seine Tafelrunde waren schon im Mittelalter Verkaufsschlager: Besonders seit dem Hochmittelalter verbreiteten sich Erzählungen rund um den legendären König und seine Ritter in ganz Europa und waren bald fester Bestandteil der höfischen Adelskultur. Die Bretagne gilt als entscheidender Ort dafür, dass sich der ursprünglich keltische Stoff so weit verbreiten konnte – nicht umsonst zählt man ihn häufig zur sogenannten Matière de Bretagne. Die meisten Erzählungen aus der Bretagne wurden auf Französisch verfasst. Es gibt jedoch ein paar Ausnahmen und zu diesen gehört der Text, auf den wir heute ein paar neugierige Blicke werfen wollen.

„An dialog etre Arzur Roe d’an Bretounet ha Guynglaff“ („Dialog zwischen Artus, dem König der Britannie, und Guynglaff“) wurde auf Mittelbretonisch verfasst, einer britannisch und damit keltischen Minderheitensprache. Es handelt sich um den einzigen Text der Artustradition, der im Mittelalter auf dieser Sprache verfasst worden ist. In diesem Dialog begegnet der berühmte König Artus einem eigenartigen Mann, der ihm in 247 Versen eine düstere Zukunft voraussagt.

Der Name dieses wilden Mannes lautet Guynglaff. „Wilde Männer“, menschenähnliche Wesen, die abseits der höfischen Welt im Wald leben, sind der mittelalterlichen Literatur nicht fremd, berühmt ist beispielsweise der wilde Mann aus Hartmanns von Aue „Iwein“ (um 1200), einem Klassiker des deutschen Mittelalters. Guynglaff erinnert auch an anderen keltische wilde Männer wie den walisischen Myrdinn, den schottischen Lailoken oder den irischen Suibhne (siehe dazu: Fleuriot 1987). Ihnen ist er besonders durch seine prophetischen Fähigkeiten ähnlich: Artus fängt ihn an einem Samstagmorgen durch List und Geschick und zwingt ihn, ihm die Zukunft der Bretagne bis zum Weltuntergang vorauszusagen:

D’an Roe Arzur ez liviry
Pebez sinou a coezo glan,
E Breiz quent finuez an bet man
Na pebez feiz, lavar aman:
Pe me az laquay e drouc saouzan.

Übersetzung:

Du wirst König Artus sagen, welches heilige Zeichen in der Bretagne vor dem Ende der Welt fallen wird. Im Namen des Glaubens, berichte mir davon, oder ich werde dich in böse Bedrängnis bringen.

(Übersetzung der Verfasserin, bretonischer Text nach Milard: 171)

Daraufhin prophezeit er Artus allerlei Dinge, meist schrecklicher Natur, die in den nächsten Jahren in der Bretagne geschehen sollen.

Solche prophetischen Figuren sind für Geschichten rund um Artus‘ Zeit nicht ungewöhnlich. Berühmt ist das „Armes Prydein“, ein walisisches prophetisches Gedicht, was meist in das 10. Jahrhundert datiert wird. Auch moderne Lesende werden sicherlich schnell an den druidenhaften Merlin denken, der Artus in vielen Erzählungen begleitet und die Zukunft kennt. In der Bretagne spielt dieser bis weit in die Neuzeit eine Rolle: Der Geschichtenerzähler Jean-Louis ar Rolland, der die Geschichten und Volkslieder (Gwerz) seiner Kindheit aufschrieb, widmete Merlin eine ganze Reihe von Erzählungen, die er zusammen mit Jef Philippe unter dem Titel „War roudoù Merlin e Breizh “ („Merlins Fußspuren in der Bretagne“, 1986) veröffentlichte. Auch hier gibt es eine Szene, in der der Zauberer gefangen genommen und zu einer Prophezeiung gezwungen wird.

Zu einem so großen Ruhm wie Merlin hat Guynglaff es nie gebracht, wenn er auch unter einer anderen Schreibweise, als Gwenc’hla, in die moderne Dichtung eingegangen ist. Hersart de la Villemarqué nahm in seine Balladensammlung „Barzaz Breiz“ („britannische Balladen“, 1839) den Text „Diougan Gwenc’hlan“ („Gwenc’hlan Prophezeiungen“) auf – und behauptet, typisch für das 19. Jahrhundert, diese würde auf einer alten Volksweise basieren. Das wurde jedoch bereits in den 1870ern angefochten (Constantine 1999: 88).

Zwar ist der Dialog die älteste Erwähnung von Guynglaff, die wir kennen, es gibt jedoch durchaus Hinweise darauf, dass Guynglaff schon zuvor in der Bretagne bekannt war: Mary-Ann Constantine weist darauf hin, dass große Prophezeiungen meist schon etablierten Sagenfiguren in den Mund gelegt wurden (Constantine 1999: 114). Ob der Text auf eine ältere mündliche Tradition verweist können wir an dieser Stelle nur spekulieren.

Der „Dialog zwischen Artus, dem König der Britannie und Guynglaff“ ist, wie wie viele mittelbretonischen Schriftzeugnis, nicht so alt wie viele andere Geschichten rund um Artus: Lange Zeit wurde der Text um das Jahr 1450 datiert (Lewis/Piette 1990: 4; Le Bihan 2009: 115). Dies leitet sich aus einer französischen Randbemerkung im Manuskript ab, „l’an de Notre Seignieur mil quatre cent et cinquante“ („Das Jahr unseres Herrn 1450“) heißt es dort. Damit würde das Gedicht einige erstaunliche Ereignisse, zwar nicht direkt, aber deutlich genug, vorhersagen, die sich erst im 16. Jahrhundert ereignen.

Er bloaz pevaruguent hac eiz,
Ez duy an Saouson e Breiz.
Donet a rahint a flot meurbet
Pa ne gouuezhor quet an pret.

Übersetzung:

Im Jahre [15]88 wird der Engländer in die Bretagne kommen. Er kommt mit einer großen Flotte. Wann genau er kommt, ist nicht bekannt.

(Übersetzung der Verfasserin, bretonischer Text nach Minard: 175)

In den 1580ern und den 1590ern gab es tatsächlich eine komplizierte politische Situation in Frankreich, die auch in der Bretagne ausgetragen wurde: Im Zuge der Hugenottenkriege kam es zu Konflikten zwischen der katholischen Heiligen Liga und protestantischen Fraktionen, die nicht nur von den hier erwähnten Briten unterstützt wurden. Jessica Shales (2024) argumentiert daher aus neuen linguistischen und historischen Perspektiven dafür, das Gedicht stamme aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert.

In light of all the other correspondences between the Dialog’s prophecies and sixteenth-century Breton events, the similarity between Guynglaff’s description of the destruction, by the English, of castles and turrets in the region ofRoscanvel around the same time that the English historically took the Spanish fortress at the same location seems too distinctive to be dismissed as coincidence.

Shales 2024: 221

Damit wäre es nicht mehr der „älteste bretonische Text“ (Lewis/Piette 1990: 4). Inwiefern er dann jedoch „ohne jeden literarischen Wert“ ist, muss noch bestimmt werden. Tatsache ist in jedem Fall, dass er sich von der meist sehr elaborierten, besonders in der Reimstruktur komplexen, religiösen Dichtung, die den großen Teil der mittelbretonischen Dichtung ausmacht, unterscheidet. Tatsache ist jedoch auch, dass er als einziger erhaltener Text über Artus auf bretonisch zumindest dahingehend einen Wert hat, dass er uns etwas über Literatur und Kultur seiner Heimat erzählen kann. In dieser war er, wie Mary-Ann Constantine schreibt, möglicherweise ein populäres Stück Literatur. Und zumindest in Bezug auf den Ort, an dem es spielt, kann festgehalten werden: „The poem is Breton in outlook: its geography is restricted to the area between Guingamp und Port-Blanc (Côtes-du-Nord), woth the distinctive rise of the Menez Bré in the centre“ (Constantine 1999: 113).

Hier geht es zum Weiterforschen

Minard, Antone: “The dialogue between king Arthur and Gwenc’haln”. A Translation. In: Comitatus: A Journal of Medieval and Renaissance Studies 30 (1999), S. 167–179.

Constantine, Mary-Ann: Prophecy and Pastiche in the Breton Ballads: Groac’h Ahès and Gwenc’hlan. In: Cambrian Medieval Celtic Studies 30 (1999), S. 87–121.

Fleuriot Léon: Prophéties, navigations et thèmes divers. In Jean Balcou et Yves Le Gallo (éd.): Histoire littéraire et culturelle de la Bretagne 3. Paris 1987, 153–72.

Le Bihan, Herve: An Dialog etra Arzu Roe d’an Bretounet ha Guynglaff and its Connections with Arthurian Tradition. In: Proceedings of the Harvard Celtic Colloquium 29 (2009), S. 115–126.

Lewis, Henry/J. R. F. Piette: Handbuch des Mittelbretonischen. Innsbruck 1990.

Shales, Jessica: On the date of the Dialog: a re-examinationof the date of composition of the earliest Arthurian poem in Middle Breton. In: Celtica — Journal of the School of Celtic Studies 36 (2024), S. 193–223.


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