Auf Grimms Spuren…

Mythen, Märchen, Fantastisches


Der Golem

… wie er nach Prag kam

Wenn sich langsam die nächtliche Dunkelheit über Prag legt, dann sind sie in den engen Gassen der Altstadt überall zu spüren: die unzähligen alten Geschichten und Legenden der Stadt, in der sich immer ganz unterschiedliche Völker und Sprachen trafen. Neben wunderschönen Wiedergängerinnen, untoten Menschen und Männern ohne Kopf ist die bekannteste Geschichte wohl die vom Prager Golem, einem Geschöpf, was eins von einem Rabbi aus Lehm geschaffen und zum Schutz der jüdischen Bevölkerung zum Leben erweckt wurde. Klingt verrückt? Nicht verrückt genug, um seine Spuren durch Jahrhunderte zu ziehen… Mache dich in diesem Beitrag bereit, tiefer in das mystische Prag zu tauchen!

Der Prager Golem

Bild: Statur des Rabbi Löwe, des Erschaffers des Golems, am Prager Rathaus (Foto: Privat)

Die Sage vom Golem geht aus Erzählungen aus dem Talmund und den Midraschim zurückgeht. Seit dem Mittelalter ist die Geschichte in ganz Europa verbreitet; im 12. Jahrhundert erschien in Worms ein Kommentar zum mystischen Traktat „Sefer Jezira“, in dem bereits die Rede von einem magischen Ritual ist, in dem eine Lehmstatur durch Zahlen und Symbole zum Leben erweckt werden sollte. Ein jüdischer Gelehrter soll in der Lage sein, den Golem aus Lehm zu erschaffen – in Anlehnung daran, wie Gott Adam erschaffen haben soll. Laut der Kabbala braucht es dazu das Wort „emeth“ (Wahrheit), was als Siegel Gottes auf die Stirn des Golem geschrieben wird. Wird der erste hebräische Buchstabe ausgelöscht, zerfällt das Wesen wieder zu Staub. Seit dem 17. Jahrhundert tritt die Vorstellung auf, der Golem könne auch dann noch gefährlich für seine Umwelt werden.

Zu Prag hat der Golem eine besondere Beziehung: Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Sage auf den Rabbi Löw übertragen, eine reale Person, welcher den Golem hier zum Schutz der jüdischen Bevölkerung im 16. Jahrhundert erschaffen haben soll. Während seiner Lebzeit wurde der Rabbi nicht mit dem Golem, eigentlich mit keiner Magie im engeren Sinne, in Verbindung gebracht: Erst 1838, fast 230 Jahre nach seinem Tod, veröffentlichte der deutsch-tschechische Journalist Franz Klutschak in der Zeitschrift „Panorama des Universums“ einige magische Geschichten rund um Löw – darunter auch „Der Golam und Rabbi Löw“. 

Durch die Veröffentlichung des angeblich alten Volkbuches „Nifl’oth Maharal ‛im ha-Golem“ (Wundertaten des Rabbi Löw mit dem Golem, 1909) festigte sich eine eigenartige Version der Sage, in welcher der Golem nicht nur der Retter der Bedrängten ist, sondern zugleich auch ein furchtbarer wütender Zerstörer, der sich gegen seinen Schöpfer stellt. Eben diese Vorstellung vom Golem hielt sich besonders im frühen 20. Jahrhundert. Denn der Golem ist heute durch die Fantastik und Science-Fiction eben dieser Zeit bekannt: Besonders im frühen Film erlangte das Lehmgeschöpf einen Kultstatus als Horrorwesen, der sich durchaus mit Frankenstein und Dracula vergleichen ließ.

Das beginnende 20. Jahrhundert was besessen von Okkultismus – und es war noch besessener von Prag als Ort des Mystischen, besonders in Bezug auf das untergegangene Judenviertel. Aus den Trümmern der alten Judenstadt erhoben sich Geschichten, die in den engen verbliebenen Gassen der Stadt nach ebenfalls untergegangenen Geheimnissen suchten. Spätestens seit „Der Student von Prag“ (1913), ein Film, an dem der berühmte Horror-Regisseur Paul Wegner genauso beteiligt war wie der nicht weniger berühmte Horrorautor Hanns Heinz Ewers war Prag als Tor zu einer vergangenen mystischen Welt etabliert. Während die Stadt zu Beginn des 20. Jahrhundert zu einer modernen Metropole wuchs, richtete der Zeitgeist seinen Blick auf ihre Vergangenheit mit all ihren Legenden und Geheimnissen.

Bilder: Filmplakate zu „Der Student von Prag“ (1913) und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920). Auf dem zweiten sieht man die Darstellung der Stadt besonders gut.

Das spiegelt sich nicht zuletzt in Gustav Meyrinks berühmten Roman „Der Golem“ (1915). In der düsteren Atmosphäre des alten Prager Ghettos erzählt er hier eine eigenartige Golemgeschichte, in welcher das Geschöpf am Rande auftaucht und zu eine Art „Frühwarnsystem“ kommender Katastrophen im jüdischen Viertel wird – sonst bleibt das Geschöpf jedoch im Schatten.

„Der Ursprung der Geschichte reicht wohl ins siebzehnte Jahrhundert zurück, sagt man. Nach verlorengegangenen Vorschriften der Kabbala soll ein Rabbiner da einen künstlichen Menschen – den sogenannten Golem – verfertigt haben, damit er ihm als Diener helfe in der Glocken der Synagoge läuten, und allerhand grobe Arbeit tue. Es sei aber doch kein richtiger Mensch daraus geworden und nur ein dumpfes, halbbewußtes Vegetieren haben ihn belebt. Wie es heißt, auch das nur tagsüber und kraft des Einflusses eines magischen Zettels, der ihm hinter den Zähnen stak und die freien siderischen Kräfte des Weltalls herabzog.“ (Meyrink: 43)

Bild: 156.-165, Tsd, der zweiten illustrierten Ausgabe. Kurt Wolff Verlag: München 1919. Zu finden im Internet Archive.

Meyrink verliert sich dabei in seiner Begeisterung für die Geheimnisse der jüdischen Mystik und eben diese Geheimnisse, diese Mysterien sind es, die die Faszination des Golems weiter verstärken.

„Nimm an, der Mann, der zu Dir kam und den Du den Golem nennst, bedeute de Erweckung des Toten durch das innerste Geistesleben. Jedes Ding auf Erden ist nichts als ein ewiges Symbol in Staub gekleidet.“ (Meyrink: 71)

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Meyrinks Roman nicht der einzige Kassenschlager rund um den Golem wurde, sondern besonders auch der Film auf ihn aufmerksam wurde. In den 1920gern erlebte der expressionistische Film eine Blütezeit, besonders in deutschsprachigen Gebieten. Einer seiner berühmten Vertreter: Paul Wegener, der rund um den Golem so etwas wie das erste Horrorfilm-Franchise begründete. Gleich drei Filme widmete er der Sagengestalt:

  • 1915: Der Golem
  • 1917: Der Golem und die Tänzerin
  • 1920: Der Golem, wie er in die Welt kam

Paul Wegener, der selbst lange Zeit am Theater tätig war, spielt hier die eigenartig kastenförmige Gestalt des Golems, die in „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von einem Rabbi zum Leben erweckt wird. Die Stimmung kippt, als der Golem selbst für Feuer, Tod und Zerstörung sorgt. Inspiration hatte Wegener ausreichend zur Verfügung: Neben der Kabbala standen das „Buch der jüdischen Merkwürdigkeiten“ (1714) sowie die Version der Golemsage von Jakob Grimm Paten. Der Namensgeber dieses Blogs wusste in der „Zeitung für Einsiedler“ (1808) nämlich Folgendes zu berichten:

Die polnischen Juden machen nach gewissen gesprochenen Geberen und gehaltenen Fasttägen, die Gestalt eines Menschen aus Thon oder Leimen, und wenn sie das wunderkräftige Schemaphoras darüber sprechen, so muß er lebendig werden. Reden kann er zwar nicht, versteht aber ziemlich was man spricht und befehlt. Sie heißen ihn Golem, und brauchen ihn zu einem Aufwärter, allerlen Hausarbeit zu verrichten, allein er darf nimmer aus dem Hause gehen (Grimm: 55).

Darüber hinaus berichtet Grimm, der den Golem in der Romantik berühmt machet, dass auf der Stirn des Geschöpfes das Wort „Wahrheit/Gott“ auf Hebräisch steht, was nicht entfernt werden darf – ganz ähnlich, wie wir es von älteren Versionen der Sage kennen. Grimm geht auch auf die Gefahren des Golem ein:

Einem ist sein Golen aber einmal so hoch geworden und hat ihn aus Sorglosigkeit immer wachsen lassen, daß er ihm nicht mehr an die Stirn reichen können. Da hat er aus der großen Angst den Knecht geheißen, ihm die Stiefel auszuziehen, in der Meinung, daß er ihm beim Bücken an die Stirne reichen könne. Dies ist auch geschehen, und der erste Buchstab glücklich ausgethan worden, allein die ganze Leimlast fiel auf den Juden und erdrückte ihn (Grimm: 55).

Eben dieser gefährliche Aspekt wird im Film besonders betont. So erschafft der Rabbi zunächst den Golem, indem er einen Dämon beschwört, der ihm das passende Zauberwort gibt:

Bild: „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (29:44).

Schon kurz darauf wird die Lehmstatur zwar lebendig bringt aber, nachdem sie einen egoistischen Befehl vom Gefährten des Rabbi erfahren hat, geradezu apokalyptisch Feuer und Zerstörung (interessant, wenn man bedenkt, dass die Filme rund um den Ersten Weltkrieg entstanden…), bis ein Kind es schließlich schafft, das Zauberwort zu entfernen und so den Golem unschädlich zu machen.

Bilder: „Der Golem, wie er in die Welt kam“ ( 1:04:52 & 1:12:28)

Heute scheint die Golemsage, dafür, dass sie lange so populär war, weitgehend vergessen. Den Kultstatus andere Wesen des Horrorfilm, Vampire, Werwölfe, Zombies, konnte der Golem jedenfalls nicht halten… Oder hat sich die Geschichte einfach nur verändert?

Von Frankenstein zu Robotern

Der Golem ist nicht das einzige Geschöpf aus toten Material, dem ein Mensch Leben einhaucht – besonders die Science-Fiction scheint besessen von dieser Idee zu sein. Erst seit der Erfindung von AI? Sicher nicht!

Die Idee, dass der Mensch aus unbelebten Objekten Leben erschaffen kann, ist keineswegs verschwunden, sondern heute noch so frisch, modern und beliebt, wie sie es vor hundert Jahren war. Neben dem Golem ist es besonders Frankensteins Geschöpf aus Mary Shelleys „Frankenstein oder der moderne Prometheus“ (1818) (hier ist der Bezug zum Schaffen des Menschen aus Lehm ganz klar!), das noch heute durch die Popkultur wandert. In diesem Roman spielt ein junger Wissenschaftler Gott und erschafft dabei ein Geschöpf aus totem Material – was er jedoch, ähnlich wie der Rabbi den Golem, sofort fürchtet und was sich bald für ihn und seine Liebsten als Gefahr herausstellt. Das eigene, zum Leben erweckte Geschöpf kontrollieren? Das kann Victor Frankenstein so wenig wie Gott Adam davon abhalten kann, die verbotene Frucht zu essen! Wie der Golem ist auch Frankensteins Kreatur zunächst unschuldig, wird aber durch die Furcht und die äußeren Umstände zum Mörder. Ob Frankensteins Geschöpf aus Lehm ist? Der Roman schweigt darüber – da sich Frankenstein jedoch weigert, Details über die Erschaffung des Wesens zu verraten, kann wohl nichts ausgeschlossen werden…

Ich sehe an Ihrer Aufmerksamkeit und dem staunenden und hoffenden Ausdruck Ihrer Augen, mein Freund, dass Sie erwarten, das Geheimnis, in dessen Besitz ich bin, von mir zu erfahren; aber das kann nicht sein. Hören Sie sich meine Geschichte geduldig zu Ende an, dann werden Sie leicht begreifen, warum ich in diesem Punkt Bedenken habe. Angesichts meiner eigenen damaligen Unvorsichtigkeit und Besessenheit will ich Sie nicht zu Ihrem Verderben und Ihrem unweigerlichen Untergang verleiten.“ (Shelley: 72f).

Sicher nicht aus Lehm sind dagegen die Androiden und Roboter, die durch die heutige Science-Fiction wandern. Auch sie sind häufig künstlich geschaffene Geschöpfe, die aufgrund von Ungerechtigkeit oder Überlegenheit gegen ihre Schöpfer vorgehen. Das erste Beispiel dafür tritt zeitgleich mit dem Wort „Roboter“ auf: 1920, also zeitgleich mit dem Golem, schrieb Karel Čapek sein Theaterstück „W.U.R. – Werstands Universal Robots“, in dem das Wort „Roboter“, eine Anspielung an westslawischen robota für „Arbeit“, was sich bald in alle europäischen Sprachen verbreitet, erfunden wird. Und schon hier rebellieren die ersten Roboter überhaupt gegen ihre menschlichen Schöpfer – wie der Golem, wie Frankensteins Kreatur.

„Die Herrschaft der Roboter! […] Die Welt gehört den Stärkeren. Wer leben will, muß herrschen.“ (Čapek 1922: 112).

Das kommt dir bekannt vor? Wahrscheinlich weil die meisten Filme rund um Roboter oder andere Formen der künstlichen Intelligenz, ganz ähnlich von dieser Technologie als Gefahr für die Menschheit erzählen: zu denken ist an Blade Runner (1982), Terminator (1984), Avengers: Age of Ultron (2015), Westworld (1973) und die gleichnamige TV-Serie (2016–2022) … wobei nicht immer klar ist, ob es die Schöpfer oder die Geschöpfe sind, welche hier eigentlich die Bösen sind.

In gewisser Weise ist der Golem also nicht vergessen – er hat sich nur weiterentwickelt und ist in Bezug auf AI, heute vielleicht näher an der Realität, als jede andere Sagenfigur.

Die Brüder und Schwestern des Golems

Lerne hier weitere Geschöpfe aus Lehm kennen.

Hier geht’s zum Weiterforschen

Verwendete und weiterführende Literatur

Čapek, Karel: W.U.R. Werstands Universal Robots. Utopistisches Kollektivdrama in drei Auszügen. Deutsch von Otto Pick. Prag/Leipzig: 1922.

Grimm, Jakob: Entstehung der Verlagspoesie. In: Zeitung für Einsiedler 7 (1808), S. 55.

Meyrink, Gustav: Der Golem. München 2022.

Shelley, Mary: Frankenstein oder Der moderne Prometheus. Frankfurt a.M. 2018.

Wegener, Paul: Der Golem, wie er in die Welt kam [Film]. Deutschland, 1920.

Barzilai, Maya: The Face of Destruction. Paul Wegener’s World War I Golem Film. In: Dies: Golem. Modern Wars and Their Monsters. New York 2016, S. 27–68.

Drux, Rudolf: Künstlicher Mensch. In: Brittnacher, Hans Richard/May, Markus (Hg.): Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar 2013, S. 391–401.

Mayer, Sigrid: Golem. In: Brednich, Rolf Wilhelm [u.a.] (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Bd. 2. Berlin, Boston 2016. (Online). Letzter Zugriff: 26.05.2024.

Müller-Tamm, Jutta: Die untote Stadt. Prag als Allegorie bei Gustav Meyrink. In: Weimarer Beiträge 50(4 (2004), S. 559–575.

Weitere Bildquellen

Adam und Pandora: Als Free Image zur Verfügung gestellt auf Pixaby unter den Lizenzbedingungen.

Endiku: Hero mastering a lion. From the palace of Sargon II at Dur Sharrukin (now Khorsabad, near Mossul), 713-706 BC. Bereitgestellt in Wiki-Media zur freien Verwendung unter Lizenzbedingungen.


Hinterlasse einen Kommentar